9/27/2007

Jorge Franco und der unmagische Realismus

Wie ist das wohl für einen spanischsprachigen Autor, der bei einem deutschen Literaturfestival ca. 5 Minuten aus seinem Roman "Rosario Tijeras" liest und danach ewig lang dem deutlich längeren deutschen Ausschnitt lauschen muss, ohne ein Wort zu verstehen? Jorge Franco nahm des beim Internationalen Literaturfestival in Berlin jedenfalls gelassen. Wofür ihn bestimmt die professionelle Simultandolmetschung der Einleitung und der Fragestunde gegen Schluss entschädigt haben. Jedenfalls hat Jorge Franco diesen Roman bereits 2001 veröffentlicht, wobei er vom magischen Realismus eines gewissen anderen Kolumbianers nicht weiter entfernt sein könnte. Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen hat dieser Roman Furore gemacht. Was das alles mit dem Sänger Juanes zu tun hat und wie ich es mit der Liaison zwischen einer Auftragskillerin aus den Slums und zwei Männern aus der feinen Gesellschaft halte, lesen Sie in der ausführlichen Rezension.

Der neue Roman von Isabel Allende

Was für eine Freude, eine meiner ganz großen Heldinnen live in Wien zu erleben! (siehe Beitrag unten). Seit der Lektüre von "Das Geisterhaus" vor etlichen Jahren habe ich so gut wie alles gelesen, was Isabel Allende veröffentlicht hat - und das ist eine ganze Menge. Diesmal hat sich die Vielschreiberin mit "Inés meines Herzens" einer sehr genau recherchierten historischen Figur zugewandt, Inés Suárez, eine Spanierin, die an der Eroberung Chiles in 16. Jahrhundert beteiligt war. Wie immer ist auch dieser Roman souverän geschrieben und dreht sich, wie die meisten Bücher Allendes, um eine starke und selbstbewusste Frau. Da das Buch aber mehr Chronik denn Erzählung ist, bleibt die poetische Sprache, die ich so an ihr schätze, weitestgehend ausgeklammert. Dennoch: Lehrreiche Einblicke in eine grausame Welt, die sich in den letzten Jahrhunderten nur marginal zum Besseren gewandelt hat. Eine ausführliche Rezension gibt es hier.

9/23/2007

Gerhard Roth: Memoiren in Überlänge

Die wohl längste Lesung des Jahres erlebte ich am Freitag im Akademietheater: Gerhard Roth las mit professioneller Unterstützung von Libgart Schwarz (Burgtheater) und eines ob eines läutenden Handys unsäglich genervten Ignaz Kirchner aus seinem neuen Roman "Das Alphabet der Zeit". Beinahe 2 Stunden dauerte die Lesung, die sich allerdings als sehr kurzweilig herausstellte. Inhaltlich sind die Erinnerungen an Kindheit, Jugend etc. sehr heiter und gnädig gegenüber allen darin vorkommenden Personen geschrieben, dabei aber, wie viele Memoiren, in meinen Augen nicht unbedingt transzendental. Mit Ausnahme der politischen Dimension natürlich, da Roths Eltern beide Nazis waren. Problematisch auch hier, wie bei vielen vergleichbaren Werken, die Darstellung der Kindheitserinnerungen, in die sich die Altersweisheit des Erwachsenen mischen und somit wenig glaubwürdig wirken.

9/18/2007

Isabel Allende: Mittelmaß für einen Superstar

Wien ist leider manchmal zu anders: Die Lesung von Isabel Allende war, mit Ausnahme der Autorin selbst natürlich, von peinlichem Mittelmaß geprägt. Schon der Ort - ein Kellersaal im Musikverein - war sonderbar. Warum nicht das Burgtheater? Dazu gab es einen unerträglichen Moderator, der die Fragestunde als Forum für einen persönlichen Anti-Bush-Feldzug missbrauchte, bis das aufgebrachte Publikum ihn stoppte und er zu Fragen à la "Sind Ihre Bücher autobiografisch?" wechselte. Als Draufgabe eine lustlos wirkende Schauspielerin, die den deutschen Text augenscheinlich zum ersten Mal sah und dementsprechend unmotiviert herunterleierte. Zum Glück war da die Hauptperson, die strahlend schöne und ungemein sympathische Isabel Allende und ihr neuer Roman "Inés del alma mía" ("Inés meines Herzens"). Allerdings habe ich selten ein so enttäuschendes Drumherum erlebt wie bei dieser Lesung in Wien.

9/11/2007

Ein literarischer Geniestreich: Wolf Haas

Bereits bei Wolf Haas' Krimis hat mich weniger der Inhalt als die enorm originelle und revolutionäre Form überzeugt. Da ich mittlerweile die ständigen Wiederholungen à la "da ist der Brenner rein und wieder raus" nicht mehr lesen konnte, bin ich gar nicht so traurig darüber, dass sich Wolf Haas nun einem völlig anderen Genre zugewandt hat: erstaunlicherweise dem Liebesroman. Der Inhalt ist zwar schrecklich hausbacken, aber dafür die Form umso genialer: Das Buch besteht aus einem Interview zwischen einer Literaturkritikerin und dem Autor selbst über ein Buch, das es in Wirklichkeit natürlich gar nicht gibt. Ein echter literarischer Coup, den ihm so schnell wohl keiner nachmacht. Eine ausführlichere Rezension lesen Sie hier.

24 Stunden Literatur in Berlin

Den Lateinamerika-Schwerpunkt beim 7. Internationalen Literaturfestival konnte ich mir keineswegs entgehen lassen und reiste für knappe 24 Stunden in die deutsche Hauptstadt. Mein dicht gedrängtes Programm: die Lesung von Mario Vargas Llosa, danach die Lesung des Kolumbianers Jorge Franco und als Abschluss, als sich schon intellektuelle Müdigkeit breitmachte, eine Lesung aus dem Essay "El laberinto de la soledad/Das Labyrinth der Einsamkeit" des mexikanischen Nobelpreisträgers Octavio Paz - vorgetragen von einen unfassbar arroganten Frank Arnold als negatives Highlight.
Erfrischend unarrogant war hingegen Jorge Franco, dessen im Milieu der Drogenmafia angesiedelter Roman "Rosario Tijeras" den Sänger Juanes zum gleichnamigen Lied inspirierte. Ob das Buch über eine Auftragskillerin nun ein feministisches Schlüsselwerk ist oder nur paradoxe männliche Fantasien bedient, ließ er allerdings offen.
Insgesamt ein sehr netter, bereichender Literatur-Aufenthalt in Berlin. Vielleicht nächstes Jahr wieder!