5/27/2007

Die Welt als Mann erleben

Schon lange spiele ich mit dem Gedanken, mich als Mann zu verkleiden, um zu sehen, ob mir die Welt anders begegnen würde. Aber schon bei den Vorbereitungen brach ich das Experiment ab: lässige Kappe von meinem Freund, dessen eckige Sonnenbrille, seine Jeansjacke – und dennoch sah ich unverkennbar weiblich aus: die Löcher in den Ohren, die weichen Gesichtszüge, schwer zu verbergende Rundungen. Es war aussichtslos. Und dann stieß ich auf Norah Vincent und ihr grandioses Buch „Self-Made Man“. Sie hat es geschafft, über ein Jahr lang glaubwürdig, wenn auch oft als „etwas feminin“ und „möglicherweise schwul“ wahrgenommen, durchs Leben zu gehen. Ein Buch, das mir wahrlich die Augen geöffnet hat – und einen wunden Punkt aufgedeckt hat, nämlich das weibliche Überlegenheitsdenken – siehe Rezension.

Ein Mini-Experiment erlaubte ich mir dennoch: ich ahmte männliches Verhalten nach. Ich ging in die Bäckerei und sagte: „ein Korn-Croissant“ – und zwar ohne zwanzig „grüß Gott“, „bitte“, „danke“, „schönen Tag“ und „auf Wiedersehen“. Ich wurde genauso freundlich bedient wie bei meinem Auftritt als Frau am nächsten Tag. Was lerne ich daraus? Vielleicht sollte ich einfach aufhören, mich als Frau indirekt für meine bloße Existenz zu entschuldigen.

Mein Freud'scher Hunger: Jed Rubenfeld

Nach jedem neuen Buch von Irvin Yalom, das ich verschlinge, bin ich gleichzeitig bereichert und enttäuscht. Denn ich muss warten, bis das nächste erscheint. Deshalb bin ich ständig auf der Suche nach Autorinnen, die in ihren Büchern psychotherapeutische Theorie und Praxis einarbeiten, ohne dabei schulmeisterhaft daherzukommen. Irvin Yalom ist der erklärte Meister - Yoram Yovell kann ihm dabei nicht ganz das Wasser reichen. Nun kommt neue Hoffnung auf: Der amerikanische Verfassungsjurist Jed Rubenfeld, der von seinem letzten Sachbuch angeblich nur sechs Exemplare verkaufte, hat sich mit seinem Roman "The Interpretation of Murder" (deutsch, logo: "Die Morddeutung") auf Anhieb in die Bestsellerlisten katapultiert. Sigmund Freud löst mithilfe der Psychoanalyse einen Mord. Auch wenn Krimis sonst so nicht mein Ding sind - ich kann den Postler mit dem Amazon-Paket unterm Arm kaum erwarten! Einmal klingeln reicht vollkommen, auch um halb 8 in der Früh. Rezension folgt.

5/17/2007

Kabarett: Starke Frau an Bord

Eher selten sind sie auf der Bühne heimischer Kabaretts anzutreffen: Frauen. Nadja Maleh ist eine von ihnen. Ihr erstes Soloprogramm namens "Flugangsthasen"ist ein wunderbarer Cocktail aus hervorragendem Witz, Tiefgang, gesanglicher Einlagen sowie Gestik und Mimik. Die pantomimische Begleitung von Herbert Grönemeyers "Männer" muss ihr erst mal jemand nachmachen. Für ihre Performance braucht Nadja Maleh nichts mehr als ein Mikrofon. In Bruchteilen von Sekunden verwandelt sie sich von einer aggressiv freundlichen Stewardess, die durch den Flug und das Entertainment führt, in eine laszive Telefonsex-Tante, eine biedere Weltverbessererin, eine talentlose Egozentrikerin oder eine indische Seelenfängerin. Das alles bewerkstelligt sie rein über Körperhaltung, Stimmlage und Akzent - das Publikum war begeistert. Ich habe Tränen gelacht!

5/15/2007

Mein Lieblingsitaliener in Wien: Andrea De Carlo











So schnell kann's gehen: Meine etwas abgeflaute Liebe zu Andrea De Carlo ist neu entflammt. Nicht, weil er einen rundum überzeugenden neuen Roman hingelegt hätte. Sondern weil ich ihn bei der heutigen Lesung in Wien (Thalia) als umwerfend sympathisch, charmant, einnehmend und sprühend vor Esprit erlebt habe. Und für seine 54 Jahre sieht er auch noch sehr gut aus. Sie sehen: Auch Frauen sind berechenbar. In der übervollen Lesung erzählte der Autor auf Italienisch und sehr gutem Englisch von seinem Engagement für die Umwelt, der Medienpolitik Berlusconis und die grundverschiedenen Wesen Mann und Frau. Und las natürlich aus "Wenn der Wind dreht" vor. Getrübt wurde die Stimmung in meinen Augen nur von der oberlehrerhaften Diskussionsführung von Gabi Madeja. Abschließend noch ein Autogramm - und sogar ein Foto mit dem Autor. Meinetwegen groupiehaft, aber eine schöne Erinnerung an einen inspirierenden Abend.

5/09/2007

Liebe, lustvoll seziert

Gestern habe ich ein hochgradig empfehlenswertes Theaterstück in englischer Sprache gesehen (läuft noch bis Samstag, 12. Mai). Das "Vienna Theatre Project" zeigt im Ensemble am Petersplatz das Stück "Closer" des Engländers Patrick Marber. Es geht um ein zeitloses Thema: Liebe und die Bedingungen der Liebe, das Ende der Liebe, die ungelösten Fragen hinter menschlichen Reaktionen, die Willkür der Liebe, Verrat, Leidenschaft und Eifersucht. Das alles sehr modern, sehr zeitgemäß - wo Sex wenig mit Liebe zu tun hat. Die Handlung dreht sich um zwei Pärchen, die auseinandergehen, um dann mit dem jeweils anderen eine Beziehung einzugehen, sich wieder trennen usw. Herzzerreißend traurig, streckenweise zum Brüllen komisch und prickelnd erotisch. Und vor allem eins: sehr realistisch.
Hier ein paar Zitate zum Philosophieren:
[Alice, getting dumped by Dan] Why isn't love enough?
[Alice, back together with Dan] Where is your love? I can't feel it, I can't touch it, I can't hear it. It's just easy words.
[Larry to Dan] Companionship will always trump passion.
[Larry] Then life ends. We never survive.